Sibylla Vričić Hausmann
3 FALTER
Reihe Neue Lyrik – Band 14
Herausgegeben von Jayne-Ann Igel,
Jan Kuhlbrodt und Ralph Lindner
Kulturstiftung des Freistaates Sachsen
ca. 96 S., Hardcover, Euro 18,80
ISBN 978-3-940691-89-7
poetenladen Verlag 2018
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Sibylla Vričić Hausmann legt mit 3 FALTER ein kompositorisch ausgefeiltes Debüt vor, das sich souverän wechselnder Darstellungsformen bedient und dabei selbst den Weg der Metamorphose geht – gleichsam wie jene von Maria Sibylla Merian erforschte Raupe, die, ehe sie Falter wird, Puppe war. Dabei ist der Name Merian kein Zufall, denn der Band stellt bis in seine innere Sprachstruktur Bezüge zu Werken bedeutender Frauengestalten her. Neben der Naturforscherin Merian sind dies die mittelalterliche Schriftstellerin und frühe Frauenrechtlerin Christine de Pizan und Unica Zürn, die genialische Schöpferin von Anagrammen.
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rot 3
nimmt Wasser auf, vom Sockel
der Kupferfigur im Plié. nach dem Schauer stehen wir
zwischen Beeten, Herbstblumen sind gelöschte Laubfeuer
ich, die Ballerina, das Kind mit dem Taschentuch – wirft's in die Pfütze
ich hebe es auf. wringe es und bring's mit der Kippe zum Müll
der steht bei den Bänken, die wir trocken hielten, mit unseren Körpern
du Tier mit immerfeuchtem Aug, Wassertier, glänzend
hell von der Art Strahlung, die Wolkenränder passiert
mühelos, sitzt neben mir kurz, will nicht sagen
wärmend ist's, rot, mein Atemhalten, wie Tomaten
Aus: 3 FALTER
(poetenladen Verlag)
Aller guten Dinge sind drei
Aus dem Nachwort von Jan Kuhlbrodt
Der Band ist gegliedert in vierzehn dieser jeweils dreiteiligen Texte. In sich entfalten sie ihr sprachliches Material auf je eigene Weise rhythmisch oder narrativ, essayistisch. In dem auch dreiteiligen Essay Mädchen haben eine Falte, der nicht zuletzt auf Gilles Deleuzes grandioses Werk über den Barockphilosophen Leibniz Die Falte zurückgreift, schreibt Sibylla Vricic Hausmann:
»Ich stelle mir Triptychen, diese Klappbilder, als endlos auffaltbar vor. Sie haben eine dreiteilige Struktur mit zwei einklappbaren Flügeln, ursprünglich deshalb, damit man sie unbeschadet transportieren kann. Aber vielleicht klappern sie ja weiter, wenn man sie nur richtig öffnet.«
Wir haben es also mit Gebilden zu tun, Triptychen, wie wir sie von der Malerei her kennen, Pate, meint man, standen zum einen die Altargemälde, in deren Zentrum Szenen aus dem Leben Jesu und vor allem die Kreuzigung stehen. Komplementär aber dazu der Gedanke an einen Schmetterling, einen Falter, einer Motte vielleicht, angezogen vom Licht künstlicher Beleuchtung.
2
Sibylla Vričić Hausmann wurde 1979 in Wolfsburg geboren, studierte Linguistik, Philosophie und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Von 2009 bis 2011 arbeitete sie an einem Theater in Mostar (Bosnien und Herzegowina), heute lebt sie in Leipzig. Innerhalb ihres literarischen Debüts schlägt sie zeitliche Bögen und ruft dabei Kolleginnen auf wie Maria Sibylla Merian, Christine de Pizan und Unica Zürn. Frauen also, die jede auf je ihre Weise ein eigenwilliges Werk hinterließen.
Christine de Pizan beispielsweise gilt als erste Frau, die von ihrer Schriftstellerei leben konnte, sie lebte von 1364 bis 1429. Und sie ernährte damit nicht nur sich und ihre Kinder, sondern nach dem Tod ihres Mannes und ihres Vaters auch ihre Mutter und ihren noch kindlichen Bruder. Oder Maria Sibylla Merian, jene Frau, die ihr zeichnerisches Talent mit ihrem naturwissenschaftlichen Interesse verband, und zu einer Begründerin der modernen Insektenkunde wurde. Ihr Hauptwerk Metamorphosis insectorum Surinamensium konzipierte sie während einer zweijährigen Surinamreise von 1699 bis 1701. Und nicht zuletzt Unica Zürn, jene unübertroffene Meisterin des Anagrammgedichts. Eines von Zürns Gedichten übrigens speist sich aus dem Buchstabenmaterial, das das Sprichwort Aller guten Dinge sind drei zur Verfügung stellt.
3
Innerhalb jedes 3 FALTERs werden jeweils eigene Mikrostrukturen getestet. Es scheint, als würde sich die Sprache ihres Erfahrungshintergrundes in der Technik entledigen. Eine Form von Befreiung also. Dennoch transportiert die befreite Sprache weiter einen sozialen Gehalt, und das Spiel suspendiert das Gefühl nicht. Und vielleicht liegt vor allem in dieser Art von Befreiung das, was den Reiz der Lektüre ausmacht.
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Stimmen zum Buch
Sibylla Vričić Hausmann erkundet in vierzehn Triptychen Begehren und Verwundungen, variiert wagemutig Sprachmaterial und reflektiert in so poetischen wie analytisch scharfen Bildern Facetten weiblicher Identität über Jahrhunderte hinweg.
Orphil Debütpreis, Björn Jager
In Sibylla Vričić Hausmanns ) Debüt 3 Falter (poetenladen verlag 2017) geht es um die »instabilen Zustände des Begehrens« (Michael Braun). Vričić Hausmanns Texte über das dunkle Verlangen, über Falter und Dreifaltigkeit sind geprägt von Begegnungen mit Unica Zürn und Maria Sibylla Merian.
Die besten Lyrikdebüts 2017 | Beate Tröger
Mit wenigen Strichen, schroff gefügten Bildern einer Karstlandschaft, in der sich sinistre Gestalten zu treffen scheinen, entwirft Sibylla Vričić Hausmann ein Panorama der Desorientierung, der Verbindung von Liebe und Gewalt. ... Die Liebe – sie ist hier eine warme Waffe, bei deren Einsatz mit den schwersten Verletzungen zu rechnen ist.
Spritz, Michael Braun zu pas de deux aus 3 FALTER
Die großen Narrative (zumal die christlichen) werden hier verhandelt – eine Schule des Sehens, der man sich gut, gerne und oft hingeben sollte!
Denn, was diesen Band so reizvoll wie keinen Zweiten in diesem Frühjahr macht (zumindest von denen, die ich gelesen habe!), ist dessen strenge und sehr mutige Komposition. Schon allein der Titel führt ins Bodenlose etlicher Analogien und inter- sowie intratextueller Querverweise, von der Heiligen Dreifaltigkeit über die Dreiteilung der einzelnen Zyklen bis hin zu feministischer Theorie und Praxis – und natürlich kommen auch die haarigen, in unserem Alltag immer seltener werdenden Schmetterlingsfalter nicht zu kurz.
Fixpoetry | Marko Dinic
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