Knallharte Paradiese
Anmerkungen zu Dieter Krauses Gedichtband
Geregelter Schwelbrand von Jayne-Ann Igel
Wenn man sich auf Gedichte von Dieter Krause einlässt, betritt man doppelten Boden, schon mit dem langen Eröffnungstext dieses Bands stellt sich das Gefühl ein, die Straßenarbeiter rissen das Erdreich nicht nur vor Ort, sondern bis Delphi auf, und man sieht sich sofort in eine andere Zeit versetzt oder vielmehr im Ungewissen. Etwas, das kein Orakel, sondern nur erkundendes Verstehen zu erhellen vermag. Es sickert Mikwewasser in den Teer, und dieser wiederum ist gesättigt von all den Vorleben einst auf Erden siedelnder Gewächse. Dies eröffnet Assoziationen Raum, in vielerlei Hinsicht, doch in eine Beliebigkeit führt das nicht. Der Text hat wohl weniger die Absicht, in eine bestimmte Richtung zu weisen, als vielmehr erfahrbar zu machen, wie sehr unsere Existenz durchdrungen wird von unterschiedlichsten Schichten, Bedeutungen, Zeitebenen. Es ist ein Verdienst dieses Autors, uns in die Katarakte aus Zeit und Raum zu führen und die Dinge neu zu bestimmen. Dabei entwickelt er ein großes Gespür für Zeitkolorit, das durchgängig in den Texten zu beobachten ist. In Krauses Lyrik überwiegt ein erzählerischer Duktus, das macht ihn in gewisser Weise zum Grenzgänger zwischen den Gattungen, wobei er seine Formensprache sehr bewusst und diszipliniert einsetzt.
"Vernarbte Handgesichte" (Körperraum Teer) – auf Findungen und Komposita dieser Art stößt man bei Krause immer wieder, sie weiten den Blick. Dieser erste Text vermittelt einen Eindruck von der Mühseligkeit wie Sinnhaftigkeit der Arbeit, die eine lange Tradition hat, in der Entfremdungsmaschinerie. Es ist, als flösse hier die Geschichte aller Straßen der Welt ein, die je gebaut worden sind.
"Sollen wir zurückkehren in die Freiheit der Höhle" formuliert das dichterische Ich in einer Strophe (weiß nicht wie), und wir sehen uns im historisierenden Rückgriff auf alte Redewendungen, die Dieter Krause gezielt einsetzt, mit einer Bewusstseinsgeschichte konfrontiert. Was sicher nicht von ungefähr kommt bei einem Dichter, der sich beispielsweise mit älteren deutschen Sprachformen beschäftigt. Dieses so oder so-Sprechen generiert Bilder, Vorstellungen. Oft genügen ein Name, ein Wort, um eine weitere Ebene oder Perspektive zu eröffnen. Es ist Methode, sie ab und an scheinbar ohne, jedenfalls auf den ersten Blick ersichtlichen, Bezug zu platzieren. Und man fragt sich, was der Glockenklang beispielsweise mit Sinai zu tun hat (weiß nicht wie). Der Autor sieht sich gleichsam fern (eine andere Interpretation des Fernsehens), was wiederum nichts mit Fernweh zu tun hat. Sieht sich fern auch in eine Zeitlichkeit, rückt sie nah heran, übersetzt sie ins Gegenwärtige. Solcherart historisierende Rückgriffe sind z.B. auch bei Sarah Kirsch zu beobachten (Allerleirauh). Um dem dichterischen Anspruch zu genügen, die Namen der Dinge zu ändern, wie es das Motto des Eingangstextes formuliert.
Gelegentlich zieht er zwei Worte zu einem zusammen, initiiert Neubildungen, die irritieren und zugleich neue Sinnzusammenhänge stiften (Totessehen, Zueinanderstunde, Feudalatem, Schiffsmein).
"Genau genommen sind wir Bäume", schreibt Krause und dichtet uns eine Existenz zu, die trotz scheinbarer Verwurzelung fragil wirkt. Das alles erinnert bei Krause an die Dimensionen antiker Stoffe, Rückbezüge wie Vergegenwärtigungen dieserart finden sich allerorten. Sie verweisen auf unsere zivilisatorische Herkunft und bilden archaisch anmutende Muster, die fortwirken. Und zugleich stellen sie Digitalisate der Jetztzeit dar. Wir fremden uns ein und dienen uns an in diesem Universum. Er spricht von der "Verbindung Vorkindheit" und schafft damit eine zeitliche Distanz, nicht ohne ironischen Unterton. Und öfter begegnen wir in dieser Weise auch Texten, die als Rollengedichte zu verstehen sind.
"Knallhartes Paradies" heißt es in einem der Unterwegs-Gedichte, doch beschränkt es sich nicht nur auf fernere Orte, auch hier, wo wir gut zu leben meinen, es zumindest so dargestellt wird, sind es letztendlich Existenzen voller Brüche, die uns begegnen. Und es ist ein Leben in Verhältnissen, in denen als sicher gehaltene gesellschaftliche Übereinkünfte in die Brüche zu gehen drohen. In einem "geregelten Schwelbrand" – Krause ist ein Beobachter der stillen alltäglichen Entgleisungen, es scheint fast gewöhnlich, was da im Leben passiert, doch vermittels der Sinn- und Akzentverschiebungen in den Texten bekommen diese Vorgänge Gewicht.
Dieter Krause, Jahrgang 1961, begann mit 16 Jahren zu schreiben, zunächst probierte er sich in kürzeren Erzählungen und Gedichten. Gelegentlich erfuhr er dabei Förderung, zum Beispiel als Teilnehmer am Zentralen Poetenseminar in Schwerin, noch zu DDR-Zeiten, hat sich seine dichterischen Grundlagen aber im Wesentlichen als Autodidakt erarbeitet. Von daher rührt vielleicht das Interesse an den Werken von Autorinnen und Autoren, die keinen akademischen Hintergrund aufzuweisen haben. Er durchlief eine Facharbeiter-Ausbildung zum Nachrichtentechniker, schloss ein Ingenieursstudium an, war als Lehrausbilder und Bauleiter tätig, ehe er in den 90ern zu den Landesbühnen Sachsen wechselte, wo er bis heute als Beleuchter arbeitet. Mit einem ersten Text debütierte er 1989 im St. Benno Verlag Leipzig, 1993 folgte im Hellerau Verlag mit Landschaft träge und flink der erste Gedichtband des Autors. Außerdem publizierte Dieter Krause Gedichte im Jahrbuch der Lyrik und in der regelmäßig erscheinenden Anthologie Versnetze. Des Weiteren schrieb er auch Hörstücke, Erzählungen und Novellen. Doch bestimmend für seine literarische Arbeit ist nach wie vor die Orientierung auf Dichtung. Mit großem Interesse folgt er den Entwicklungen in der polnischen Lyrik (Szymborska, Zagajewski, Zbigniew Herbert), sucht aber auch die Auseinandersetzung mit den Dichtungen und Schriften etwa von Benn, Achmatowa, Arno Schmidt oder Heiner Müller.
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