ein flackern am himmel mit toten kanälen –
Marschflugkörper und ihre anmutige Kurve
Ron Winkler, im doppelten Wortsinn ausgezeichneter Lyriker und Herausgeber der Literatur-Zeitschrift Intendenzen, hat sich in der jüngeren Vergangenheit auf die Herausgabe und Übersetzung amerikanischer Autoren spezialisiert (nach der bedeutsamen Anthologie „Schwerkraft – junge amerikanische Lyrik“ zuletzt die Texte von Jennifer L. Knox, in diesem Jahr unter dem Titel „Wir fürchten uns“ bei Luxbooks erschienen).
Als neueste Übersetzungen liegen die Gedichte des 1951 geborenen und bereits 1997 verstorbenen Lyrikers David Lerner vor – „Die anmutige Kurve eines Marschflugkörpers“, erschienen als zweisprachige Ausgabe im Buchprogramm des poetenladens. In der Tat sind die Gedichte dieses Bandes die ersten Gedichte Lerners, die in deutscher Übersetzung vorliegen, destilliert aus den drei Gedichtbänden, die noch zu Lebzeiten im von ihm mitgegründeten Verlag Zeitgeist Press San Francisco erschienen sind. Das Cover zeigt neben einem der Erde entgegenstürzenden Mann auch kometengleich stürzende Autos. Autos statt Marschflugkörpern; die Illustratorin Miriam Zedelius hatte die Wahl der Waffen. Gelungen!
Lerners Gedichte drehen sich um Ängste und Träume, um die Poesie, um rostige Nägel, um Alkohol, Blut und Kleingeld, ums Schreien und ums Schweigen – alles zu seiner Zeit. Winkler übersetzt straight, schnörkellos. Ficken wird da nicht zu Liebe machen – zurecht, sind dies doch zwei oftmals vollständig unterschiedliche Angelegenheiten. The destroyed werden da nicht zu Zerstörten, sondern zu Kaputten. Winkler sucht nach den einfachen, eindringlichen Worten – und er findet sie. Die Protagonisten haben nicht nur Lust auf etwas, sie haben „verdammt nochmal bock“ drauf. Broken people sind nicht gebrochen, sie sind „ziemlich fertig“. Der Sound stimmt.
David Lerners Gedichten ist die Liebe zum Wort, zur Lyrik, anzumerken. Lerner liebte die Lyrik, auch wenn sie sich bei ihm nicht in Reimen über Blumen und Sonnenuntergänge abspielte. Sein erklärtes Ziel: „ich will nichts anderes tun / als lyrik berühmt zu machen“. Seine Gedichte strahlen vor nie aus der Mode kommender Melancholie: ... // aber Mars ist staub und kälte / einfach nur / ein anderer blick auf denselben highway // ein flackern am himmel / mit toten kanälen.
Vieles wirkt wie mal so eben hingeschrieben, aber wer schreibt, der weiß, dass gerade in scheinbar locker hingeworfen wirkenden Zeilen oft die meiste Arbeit steckt. Wer nach Parallelen sucht, suchen möchte, der könnte sie, Ron Winkler weist darauf hin, in den Gedichten eines Ezra Pound finden, auch bei Rimbaud. Und auch Bukowski ist in Wortwahl und Sujet nicht weit, Lerners letzter Gedichtband „Pray Like the Hunted“ (Zeitgeist Press 1992) erinnert sogar durch seinen Titel an den Dirty Old Man und dessen „Run with the Hunted“. Parallelen ließen sich also finden – einem Poeten von Lerners Klasse stünde es jedoch zu, dass man ihn als den ersten David Lerner behandelt, nicht als den dreiundvierzigsten Bukowski.
Die Gesellschaft neigt dazu, Menschen, die sich außerhalb der gesellschaftlich akzeptierten Normen bewegen, als Outsider zu betrachten, als Loser. Die Gedichte dieses Bandes machen deutlich, dass diese Bezeichnungen auf Lerner nicht anwendbar sind, nie anwendbar waren. Verloren hat nur wer aufgibt, und das hat Lerner bis zu seinem Ende, trotz aller Sorgen um Geld und Gesundheit, nicht getan. Und dass seine Gedichte nun auch in einer guten Übersetzung in deutscher Sprache vorliegen, herausgebracht von einer wichtigen und wahrgenommenen Plattform für moderne Lyrik, das ist ein verspäteter, aber nicht zu später Triumph.
Stefan Heuer
Lyrikzeitung
Oktober 2008 / Nummer 38