Zeitschleifen
Zu Pia Birkels Band »schmelzwert«
von Jan Kuhlbrodt
Wir begegnen in den Gedichten Pia Birkels einem Personal, das von der Antike über den Aufbruch in die Moderne bis in die postmoderne Verwirrung nach so etwas wie Heimat sucht. Vielleicht nach einer inneren Heimat, nach Identität. Pia Birkel selbst wurde 1998 in Wolfach im Schwarzwald geboren. Mittlerweile lebt sie in Leipzig.
im gras dort vorn
da liegt was rostiges im matsch.
rostfarben. da hat die zeit sich
eingegraben. steht eingeschrieben
in den ort, und deine spur––geh hin!
die sich nach vorne schreibt
in ganz, in unmarkiert vergrabenes
und fußabdrücke
macht
das sind die funde dieser landschaft.
Allerdings verliert die Identität, die letztlich doch Bild ist und Projektion, in den sich in der Zeit bewegenden Flächen ihre Festigkeit, wenn sie nicht ohnehin immer schon Illusion war. Stellen wir uns also die Geschichte, genauer die Kunstgeschichte und darin speziell die Geschichte der Lyrik, als Abfolge von Konstellationen vor.
Das macht es möglich, Rimbaud und Verlaine im Berlin am Anfang des dritten Jahrtausends zu begegnen. In einem WG-Zimmer vermutlich. Noch nackt nach der Nacht.
Das würde aber auch bedeuten, dass die einzelnen Momente wie die einzelnen Formen im Inneren eines Kaleidoskops immer schon da gewesen sind, und auch wir befinden uns als Betrachterinnen und Betrachter von Anfang an in jenem Raum. Alles in diesem Raum ist in Bewegung. Die Elemente werden für uns aus den wechselnden Konstellationen heraus in den verschiedensten Perspektiven sichtbar. Die Elemente selbst verändern sich nicht, es verändert sich ihre Anordnung im Raum. Objekte, die vielleicht unabhängig voneinander dahintrieben, werden in bestimmten Lagen plötzlich aufeinander bezogen.
in den sand hinein, die jähe arena
setzt herakles, der matte töter,
leichten fuß; seine zukunft
behangen mit werbeverträgen
Sie bilden Felder, größere und kleinere Zusammenballungen, nehmen Kontakt zueinander und zu uns auf, oder sie stoßen sich gegenseitig ab wie Teilchen mit gleicher magnetischer Polung. Vielleicht wäre das etwas, was die Griechen Chaos genannt haben.
Der Künstler oder die Künstlerin, in unserem Fall Pia Birkel, aber stellt durch die Arbeit an der Textur bestimmte Anordnungen still, erzeugt aus den unendlichen Möglichkeiten ein Bild, das uns plötzlich sinnvoll erscheint oder aber auch schön, verstörend.
Das würde allerdings auch bedeuten, dass die einzelnen Momente an sich nicht veralten. Das Neue, worauf Kunst doch immer aus ist, wäre eine neue Anordnung der einzelnen vorhandenen Elemente. Und vielleicht ist darum das, was wir zeitgemäß nennen, die Korrespondenz des Bildes mit der Gestalt des Raumes im Blick.
Mit schmelzwert legt Pia Birkel einen Debütband vor, der einerseits von einer lektüregesättigten Reife zeugt, andererseits den Moment eines Aufbruchs anzeigt. Eine Bewegung wird spürbar, aber auch die Spannung, die ihr vorausgeht und aus der sie entsteht.
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