Foto: privat
Utz Rachowski, geboren 1954 in Plauen, lebt in Berlin und im Vogtland. 1979 wurde er wegen der Verbreitung literarischer Werke (u.a. von Reiner Kunze und Wolf Biermann) unter dem Vorwurf »staatsfeindlicher Hetze« inhaftiert. Proteste befreundeter Autoren führten 1980 zu seiner Entlasung in die Bundesrepublik. Zuletzt erschienen von Utz Rachowski u.a. das Poesiealbum Nr. 339 sowie der Band Die Lichter, die wir selbst entzünden.
2020 erhielt er den Alfred-Müller-Felsenburg-Preis und 2021 den Lisa-und-Robert-Kahn-Lyrikpreis.
»Von Joseph Brodsky stammt das kluge Diktum Ästhetik ist Ethik. Utz Rachowskis Texte beweisen das in geradezu atemberaubender Eindringlichkeit.« Marko Martin, Deutschlandradio Kultur
»Vielleicht wurde Rachowskis Schreiben durch die Opposition zum DDR-Regime geweckt, aber er bedarf keines Gegners, um zu schreiben. Rachowski ist ein Schriftsteller sui generis. Das zeigen seine Erzählungen ebenso wie seine Essays und seine Gedichte.« Hans Joachim Schädlich
»Ich bewundere die frische und gelassene Aussagekraft der Gedichte, den Verzicht auf jegliches Veteranentum. Auch der Bund mit dem Hund oder Hündchen gefällt mir.« Adam Zagajewski, Zeszyty Literckie, Warschau
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Es fielen die schönen Bilder
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Utz Rachowski
Es fielen die schönen Bilder
Reihe Neue Lyrik – Band 22
Herausgegeben von Jayne-Ann Igel, Jan Kuhlbrodt
Kulturstiftung des Freistaates Sachsen
Hardcover, ca. 168 S., 19,80 Euro
ISBN 978-3-940691-12-3
poetenladen Verlag 2022
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Die Erdachse
Zu den Gedichten von Utz Rachowski von Jan Kuhlbrodt
1
Das Vogtland ist das Zentrum der Welt. Hier kreuzen sich wie in allen anderen Zentren auch beliebig viele Wege, und wenn sie sich gabeln, beginnen sie neu. Letztlich ist das ja das Gute am Wegkreuz auf einer Kugel, dass, egal in welche Richtung du gehst, du immer genau da ankommst, wo du losgegangen bist. Aber mancher geht nicht freiwillig, sondern er wird vertrieben. Rückkehr kann dann eine glückliche Fügung sein, wenn die Vertreiber zwar nicht selbst vertrieben wurden, aber machtlos zu Vogelscheuchen geworden sind, auf deren Köpfen die Zugvögel Nester bauen.
So heißt es in einem Text, der Giorgio Bassani aufruft, den italienischen Dichter, der angesichts der faschistischen Judenverfolgung zum Widerstandskämpfer wird. Vielleicht stehen ja Utz Rachowskis Texte, deren Orte sich über den Norden des Erdballs verteilen, eben für jene andauernde Rückkehr. Für einen ständig anfallenden Heimweg. Denn von jenem Weg erzählen sie auch. Dem, der sich im Gehen dem Gehenden zeigt. Und manchmal trifft er auf eine Katze oder er wird lange Zeit von einem Hündchen begleitet: vom Hund Suki / der ganz bestimmt / mein war // aber mir nicht gehört.
2
Utz Rachowski wurde 1954 in Plauen im Vogtland geboren, heute lebt er im vogtländischen Reichenbach. Einen Katzensprung weit von einander entfernt sind die beiden Gemeinden und man könnte meinen, dass da ein Leben bislang nur einen kurzen Weg nahm. Dem ist aber nicht so, denn Rachowski bekam eigentlich alles zu spüren, was die damalige DDR an Repressiven zu bieten hatte. Weil er einen Philosophieklub betrieb, wie die Direktion und die Stasi es nannten – die Teilnehmer hatten sich mit literarischen und philosophischen Texten beschäftigt –, wurde er von der Erweiterten Oberschule verwiesen. Unter anderem lasen sie Texte von Heinrich Böll über Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus. In einem Interview mit Axel Reitel sagt Rachowski dazu: „Das war das absolute Aha-Erlebnis – eine Parallele zu dem, was ich jeden Tag durch die Militarisierung der Schule vor Augen hatte.“ Fahnenappell und Wehrsport gehörten zum Alltag in den Schulen der DDR. Später holte Rachowski, nachdem er eine Ausbildung zum Elektromonteur absolviert hatte, das Abitur nach, wurde aber nach zwei Semestern Studium von der Universität Leipzig verwiesen, arbeitete als Heizer und wurde 1979 wegen „staatsfeindlicher Hetze“ zu 27 Monaten Gefängnis verurteilt. Zu so einem Urteil brauchte es wenig in der DDR, als deren Ende zwar schon klopfte, aber für Insassen noch nicht abzusehen war. Es reichte, Gedichte zu schreiben, die nicht dem gängigen Bild der Lyrik entsprachen, oder Gedichte missliebiger Autoren zu verbreiten.
Immer, wenn ich in dieser Zeit mit meinen Eltern in Karl-Marx-Stadt zu meinen Großeltern fuhr, kamen wir an der großen Gefängnisanlage vorbei, in der Utz Rachowski festgehalten wurde. Und der Vater eines Mitschülers war dort Knastarzt und, wie ich später erfuhr, an Quälereien der Gefangenen beteiligt. Rachowski wurde auf Betreiben von Amnesty International 1980 in den Westen entlassen und studierte dann in Göttingen Philosophie und Kunstgeschichte. Dann endlich lebte er als freier Autor, wie es als freier Autor so ist, nicht vom Verkauf der Gedichte, sondern von Preisen, Stipendien und Lehraufträgen. Und nach dem Zusammenbruch der DDR kehrte er ins Vogtland zurück. In die Gegend also, in der Vogelbeerbäume die Bahndämme flankieren. In ein sanftes Hügelland mit weiter Landschaft und engen Städten.
3
In dem Buch des polnischen Lyrikers und Essayisten Adam Zagajewski, das im Frühjahr 2021 als letztes vor seinem Tod erschien, findet sich auch ein kurzer Text über Utz Rachowski. Es ist der einzige Essay im Band, der sich mit einem lebenden deutschsprachigen Autor befasst, und er geht auf ein denkwürdiges Phänomen ein. Nämlich dass das Dilemma seiner (also Rachowskis) Generation gewesen sei: „Was tun nach dem Fall des Systems?“ „In der Literatur“, schreibt Zagajewski, „kann sich ein Sieg allerdings leicht in eine Niederlage verwandeln. Die Dichtung weiß mit Tragödie, Katastrophe, Tod, mit Melancholie, mit Liebesenttäuschung umzugehen (das gelingt ihr am besten!), doch gegenüber dem Sieg ist sie ratlos.“ Und tatsächlich sind einige der vormals oppositionellen Dichterinnen und Dichter nach dem Zusammenbruch des östlichen Reiches verstummt, andere sahen sich mit den eigenen Verstrickungen konfrontiert oder sie starben wie Jürgen Fuchs, der Schriftsteller, Aufklärer und Freund Rachowskis, an den Folgen der Repressalien, der unmittelbaren und auch der verdeckten Folter. Es ist so etwas wie ein kleines Wunder, dass Utz Rachowskis Literatur, dass Rachowski selbst, wiewohl sie die düsteren Erfahrungen nicht verschweigt, doch so etwas wie Optimismus ausstrahlt. Allerdings hängt dieser Optimismus auch mit einer Haltung zusammen, die sich aus Empathie speist und in Solidarität zeigt. Zum Beispiel betrachtete Rachowski die Ereignisse in Polen während des Kriegsrechts in den Achtzigerjahren nicht nur mit Sorge, sondern er handelte: „Als dort der Kriegszustand ausgerufen wurde, mussten wir einfach etwas tun. Über Jürgen Fuchs kannte ich Adam Zagajewski. Er gab mir einige Adressen in Polen, die ich besuchte, um mich nach inhaftierten und internierten Schriftstellern und Intellektuellen zu erkundigen. Auf dem Rückweg nahm ich von Autoren Texte mit, die ich später übersetzen ließ und im RIAS gelesen habe.“ Aber, und auch das scheint mir wichtig, ist Politik nicht alles. Im Band findet sich zum Beispiel auch ein Gedicht über die Ratlosigkeit des Autors angesichts des Leids eines erfolgreichen, aber liebeskranken Kollegen. Und vor allem einiges Eindringliche über Suki. Adam Zagajewski schreibt: „Ich bewundere seinen frischen Ton und heiteren Geist, der nichts von Veteranentum hat. Auch das Bündnis mit dem Hund oder Hündchen gefällt mir. Tiere haben weniger Kontakt mit der Geschichte als Menschen, doch wenn sie ihr schon begegnen, dann zahlen sie den höchsten Preis. Aber sie geben uns viel. Vor allem eine Art von Unschuld, die uns fehlt – sowohl den Siegern als auch den Verlierern.“
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ES
FIELEN
DIE SCHÖNEN BILDER
für Maria und Wojciech Kunicki
I
In Glatz
das Kłodzko heißt
verlor ich alle Bilder
im kleinen Bamberg
überwiegend Barock
mit Türbögen des 16. Jahrhunderts
Kasematten
Kirchen Mauern
preußische Festung
Bevor
ich sie aufnehmen konnte
fiel auf das schöne Pflaster vorm Rathaus
mein Fotoapparat
den ich
genau vor 10 Jahren
wegen meines Hundes in Pennsylvania
gekauft hatte
Aber den Kastanienbaum
den Edith Stein in Breslau
in ihrer Jugend beschrieb
nahm ich tags vorher auf
der im Wind
mit keinem Rascheln eines
einzigen Blattes auf Auschwitz verwies
ihn bewahrte der Apparat
II
Und auch die Bäume
im Nebel beim Aufstieg zum
Śneznik – Glatzer Schneeberg –
am frühen Vormittag
jetzt fiel er
sicherlich aufs Pflaster
im richtigen Moment
müde der schönen
der traurigen Bilder
Wrocław, Mi, 24. Oktober 2018
Aus: Es fielen die schönen Bilder
Stimmen zum Buch
Utz Rachowskis Gedichtband "Es fielen die schönen Bilder" berührt durch Klarheit. Die Gedichte von Utz Rachowski graben ihre Wurzeln in die Tiefe der Herkunft und strecken sich in den Himmel der Phantasie. Wir sollten wissen, von wem wir abstammen, sagen sie uns. Unsere Vorfahren gehören zu den Voraussetzungen, dank derer wir leben. ...
Das Titelgedicht Es fielen die schönen Bilder schildert im Missgeschick – sein Fotoapparat knallt aufs Pflaster – wie hübsche Erinnerungen verloren gehen, das Traurige bleibt. Poetische Momente finden wir in einem Gedicht für den polnischen Regisseur Krzysztof Kieslowski, in dem blaue Lupinen blühen, oder in einem schmerzlich schönen Porträt des Dichters Giacomo Leopardi und den Mond. Man mag schlimme Erfahrungen machen in einem Leben, das man sich nicht aussuchen kann, aber muss dennoch nicht verbittern – auch das sagen uns diese Gedichte.
Dresdner Neueste Nachrichten (2022)
Rachowskis Poetik des Unpolierten kommt hier voll zur Geltung. Die Sprache ist ungekünstelt, bestimmendes Formprinzip aller Texte ist die auffällige Kürze der Strophen: Ein bis vier Wörter pro Vers sind keine Seltenheit. Schlank steigen die Texte in den Ring. Und teilen doch gewaltig aus. Dank der reduzierten Technik entsteht Betroffenheit und Bedeutsamkeit. Voilà – verdichtete Sprache wie gewünscht. Oder um es hymnischer zu sagen: In vielen seiner Lebensgedichte wird der Atem spürbar, den es einem in Anbetracht existenzieller Situationen verschlagen kann. Melancholie mit dem Muster der Mühelosigkeit.
literaturkritik.de (2022)
Der neue Gedichtband von Utz Rachowski Es fielen die schönen Bilder ist ein Stück Zeitgeschichte. ...
Er selbst war in der DDR großen Repressalien ausgesetzt. Als Vertriebener im eigenen Land, der später zurückkehren konnte, identifiziert er sich mit Giorgio Bassani, kennt keinen Unterschied Zwischen // Ferrara / und / Reichenbach im Vogtland // beide / kehrten wir zurück // von wo sie uns wegbrachten. Doch dazwischen liegt ein weiter Weg und nicht umsonst ist das zweite Kapitel mit Wege überschrieben, und diese Metapher taucht in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. ...
Gerade diese Kapitel über das Hündchen Suki zeigen die Vielseitigkeit von Utz Rachowski. Es ist so, wie Jan Kuhlbrodt in seinem Nachwort schreibt. Trotz seiner vielen negativen Lebenserfahrungen hat sich Utz Rachowski einen Optimismus bewahrt. Und wie man an mehreren Gedichten sieht, auch seinen Humor.
Signaturen(2022)
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