»die worte, die ich begehr'«
Zu Volker Sielaffs Band »Ovids Würfelspiel«
Anmerkungen von Jayne-Ann Igel
Das Epigramm weist eine lange Tradition auf. Ursprünglich als Inschrift für eine Weihegabe, ein Kunstwerk gedacht oder einem Gedenkstein aufgeprägt, entwickelte es sich noch in der griechischen Antike zu einer sehr kurzen, prägnanten Gedichtform, die auch Gefühlen und Gedanken des jeweiligen Autors Ausdruck zu geben vermochte. Archilochos, Kallimachos und Rufinos, die alle in Volker Sielaffs Band namentlich genannt werden, mögen stellvertretend für die Autorschaft von Epigrammen in der Antike stehen. Aber auch der römische Dichter Ovid pflegte diese Kunstform, die zumeist in Gestalt von Distichen auftritt, und an Sappho, Anakreon sowie den Pionier dieser Form, Simonides von Keos, sollte hier erinnert werden.
Und auch Volker Sielaff kann man schon des längeren ein Interesse daran attestieren. Bereits in seinen vorhergehenden Bänden hat er gern Bezüge zu Gestalten aus Märchen, den Mythen der Antike und zu Dichtern jener Epoche hergestellt. Und wie in der klassischen Dichtung spielen bei ihm Naturdinge und philosophische Reflexionen eine große Rolle. In Barfuß vor Penelope (Edition Azur, 2020) herrschen Binnen- und Endreime vor, finden sich auch Strophen volksliedhaften Charakters. Der Autor äußerte in einem Gespräch, dass diese gebundenen Formen ihm in anderer Weise dichterische Freiheiten eröffneten, die er im Gebrauch freier Rhythmen so noch nicht erlebt habe. Es ist also kein Zufall, dass er sich immer wieder auf das Abenteuer einlässt, sich mit tradierten Gedichtformen lesend und schreibend auseinanderzusetzen.
Während der Zeit des Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie 2020/21, quasi in einer erzwungenen Klausur, entwickelte sich bei Volker Sielaff die Beschäftigung mit Epigrammen zu einer regelmäßigen Übung. Über die Zeit entstand eine Art Tagebuch in Epigrammen, zunächst absichtslos, doch daraus sollte sich bald die Idee einer Sammlung von Epigrammen für einen nächsten Band schälen. Von vornherein war die Auseinandersetzung darauf angelegt, mit der Form und dem bevorzugten Versmaß (Hexameter) im Schreibprozess dann auch freier, spielerischer umzugehen, sie zu verändern, davon abzuweichen, was auch inhaltlich Folgen zeitigte. Etwa da, wo er die antiken Topoi und Rückbezüge aufbricht, die das erste Kapitel noch dominieren wie im Titelgedicht und den sich anschließenden Gedichten, und das lyrische Ich in eigener Sache zu sprechen beginnt. Diesen Texten eignet ein heiterer, auch (selbst-)ironischer Ton. Doch schon auf den ersten Seiten des vorliegenden Bandes stellt der Autor, sich auf seine frühen Lektüren antiker Dichtung besinnend, die Frage nach dem eigenen, zu jener Zeit noch ausbleibenden Werk: "Lange musste ich warten auf die Bücher, die ich geschrieben: / Wie junge Hunde flüchteten meine Verse vor mir!" (Neuerscheinung). Und der Autor zieht seine Kreise weiter, Gestalten der jüngeren und Zeitgeschichte treten auf, er bezieht sie in seine intensiven Betrachtungen ein, die auch als Eröffnung von Dialogen vorstellbar wären, etwa mit Schinderhannes (Schillers Sippe). An anderen Stellen, und auch hierin lässt sich bei Volker Sielaff eine Kontinuität beobachten, folgen Reminiszenzen an Maler (z.B. Hubertus Giebe) und Dichter aus Jetztzeit und Moderne, die gleichsam in Spotlights kurz auftauchen und dennoch einen intensiven Eindruck hinterlassen.
Dieses Du des dichterischen Ich, das den Band prägt, stimmt auf Nähe ein, ein sich Zu-eigen-Machen des kulturellen Erbes, das im Prozess der Aneignung eine Verwandlung erfährt, ohne seiner Eigenheiten verlustig zu gehen. Die Texte im Kapitel Nachtwörterbuch wirken in ihrer Referenz ganz heutig. Hier finden sich Beispiele, in denen er wie in Frühlingsanfang beispielsweise über sein eigenes Schreiben reflektiert.
Manche der Texte, die in der Natur Wahrgenommenes widerspiegeln, erinnern in ihrer Leichtigkeit an Tuschezeichnungen japanischer Provenienz. Der Autor lässt hie und da eine Affinität zu japanischer Philosophie und Dichtung anklingen, die in ihrer Reduktion und gleichzeitig wirkenden Sinnlichkeit durchaus der Epigrammatik nahestehen.
Im Kapitel Opel Kapitän wiederum finden sich autobiografische Referenzen, Kindheit, Jugend, DDR, auch dies in einer Abgeklärtheit, die von dichterischer Souveränität zeugt.
Volker Sielaff, 1966 in der Lausitz geboren, legte 2003 mit dem Gedichtband Postkarte für Nofretete sein Debüt vor. Schon dieser Titel offenbarte so etwas wie ein Programm, das durch die nachfolgenden Bände untersetzt werden sollte. Eine Bewusstheit für Historizität beispielsweise. ...
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