Uwe Kolbe
Die sichtbaren Dinge
Reihe Neue Lyrik – Band 17
Herausgegeben von Jayne-Ann Igel,
Jan Kuhlbrodt und der
Kulturstiftung
des Freistaates Sachsen
ca. 72 S., Hardcover, Euro 18,80
ISBN 978-3-940691-98-9
poetenladen Verlag, 2019
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»Aber was bleibt jemandem, der wie Uwe [Kolbe] vom Himmel zumindest etwas ahnt, anderes übrig, als uns klar zu machen, wie es auf Erden nun wirklich zugeht.« Lothar Trolle
„Mir will partout kein Vorgänger für Uwe Kolbe einfallen ...“
Ernest Wichner
„Weil aber Uwe Kolbe nicht nur staunen kann, sich nicht nur begeistern lässt, sondern auch in seinen Lesern und Zuhörern Staunen und Begeisterung erregt, ist seine Lyrik der beste Beweis dafür, dass eine Daseinslust mit allen Sinnen ..., ganz genauso aber Wut und Erregung, die Kunstfertigkeit eines Textes keineswegs ausschließen.“
Jan Wagner
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Der Wind
Der Wind, er singt das alte Lied,
alles vergeht, dass alles bleibt,
so will es die Natur.
Ein warmer Regen widerspricht,
fügt, was er kann, hinzu,
dass eine zweite Blüte treibt,
und Abendsonne wärmt die Frucht,
die an dem dunklen Busch noch reift.
Aus: Die sichtbaren Dinge
(poetenladen Verlag)
Kosmos und Segment
Zu Uwe Kolbes Zyklus »Die sichtbaren Dinge«
von Jan Kuhlbrodt
Uwe Kolbes Weg in den letzten Jahren führte die Elbe stromaufwärts. Nachdem der Dichter also einige Jahre in der Hansestadt Hamburg gelebt hatte, schlug er sein Zelt nunmehr in Dresden auf. Aber im Grunde ist er ein Wandernder geblieben, dessen Weg in einem beständigen Zickzackkurs durch das mittlere Europa führt. Im Vorbeiziehen der Landschaften und Zeiten formt sich der Blick.
Zu träge ist mein Auge
Das ist ein Vers aus dem Gedicht Der Zaunkönig, das sich relativ weit vorn in diesem Zyklus des 1957 in Berlin geborenen Uwe Kolbe findet. Das Gedicht beschreibt eine Begegnung, und auch wenn es in diesem Text um einen konkreten Vogel geht, den der Lyriker zu beobachten versucht, weist es doch weiter in den Kosmos, als man im ersten Moment anzunehmen gewillt ist. Denn das Sichtbare und das Gesehene sind zweierlei.
So viel hängt ab
von dem Zaunkönig,
der Wölbung seines Bauchs,
dem Braun des Federkleids
und, dass er was findet
in der gefrorenen Welt.
Zu träge ist mein Auge
für seinen Flügelschlag.
So ähnlich beginnt übrigens die abendländische moderne Philosophie, mit der Frage nämlich, inwieweit dem Wahrgenommenen zu trauen sei, ein dauernder Zweifel. Denn, was wir von der Welt aufnehmen, ist immer Ausschnitt, und Ausschnitt ist auch das Beschriebene. Niemals werden wir das Ganze fassen, was jedoch niemanden davon abhält, es zu versuchen.
Die Kunst macht aus dieser Not eine Tugend, indem sie sich anschickt, den gewählten oder vorgegebenen Ausschnitt präzise zu zeigen. Aber so präzise sie sich auch gibt, es bleibt dennoch eine Unsicherheit: Es könnte alles ganz anders sein.
Um dieser Unsicherheit zu entgehen, oder sie wenigstens auszuhalten, legt Uwe Kolbe sich Beschränkungen auf, die letztlich Reflex sind auf jene Beschränkungen, denen das wahrnehmende Individuum ohnehin unterliegt, und in diesen Ketten liegt ihre Freiheit. Er macht, wenn man so will, aus der Not eine Tugend, und jenes Tugendhafte erscheint uns als schön.
Nietzsche nennt das »Tanzen in Ketten«: es sich schwer machen und dann die Täuschung der Leichtigkeit darüber breiten, – das ist das Kunststück, welches sie uns zeigen wollen.
Insofern ist die Kunst, und in diesem konkreten Fall die Dichtung in vormodernen Zusammenhängen angesiedelt, in einem Denken, das aufs Ganze zielt, seine Gewähr aber in etwas findet, das für es selbst nicht zu fassen ist.
Dies ist ein wiederkehrendes Motiv in Uwe Kolbes Dichtung, das sich nicht zuletzt in seiner dichterischen Auseinandersetzung mit der Form der Psalmen gezeigt hat. In den hier publizierten Stanzen klingt das dann so:
Viel Raum der Welt leert sich hinaus ins All
und sieht dabei blutrot aus wie das letzte Licht.
Die meisten Menschen leben in der Suppenschüssel,
derweil die stillen Tiere in ihrem Zwischenraum
behaupten die Natur, als wär's ein anderer,
nicht dieser kipplige Planet.
Im vorliegenden Zyklus liegt die Beschränkung, die die Freiheit ermöglicht, also in der Anzahl der Verse. Der Leser ist mit Gebilden konfrontiert, die sich mit jeweils acht Gedichtzeilen begnügen und darin, wenn man so will, ein Fenster öffnen, zu einer Unendlichkeit, die jenseits des Wahrgenommenen oder Dargestellten liegt. Es ist jene Unendlichkeit, die wir ahnen.
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Stimmen zum Buch
Rezensent Harald Hartung freut sich über Uwe Kolbes neue Gedichte. Kolbes realistischer Weltzugang gepaart mit seiner sprach- und kulturkritischen Haltung und einem handwerklichen lyrischen Verständnis machen für ihn den Reiz der Achtzeiler im Band aus, die laut Rezensent Kolbes Welt in Form von Beobachtungen und Reflexionen enthalten. Ob der Dichter die Schubkarre bedichtet oder Rilke bespöttelt, immer findet Hartung einen reellen Wortwerker bei der Arbeit.
Perlentaucher, FAZ, Harald Hartung
›Dies ist kein Beitrag zur Gegenwartslyrik‹, heißt es in einem der Gedichte. Das mag als Ironie verstanden werden und bedeutet doch, dass der Autor sich in diesem Moment gegen den Strom stellt. Während große Teile der Gegenwartslyrik von überbordender Komplexität und Selbstreferenzialität leben, hat Uwe Kolbe, der längst auf eine hochproduktive Dichterlaufbahn zurückblicken kann, sich auf Die sichtbaren Dinge besonnen: An ihnen will er, im Sinne eines Mottos von Ralph Waldo Emerson, die Worte wieder ›festmachen‹. In der strengen Form von vier Dutzend Achtzeilern, dabei frei schaltend und waltend mit Rhythmus und Reim, übt er sich in der Kunst der poetischen Entschlackung und erprobt, wie viel Tiefe sich aus Schlichtheit und Konkretion gewinnen lässt. Zu den ›Dingen‹ zählen hier auch Zustände, Erfahrungen, Begriffe oder Erkenntnisse: Kolbe bindet sie mit leichter Hand an Naturphänomene, Alltagssituationen und andere Erscheinungen der sinnlichen Welt, sodass man sie buchstäblich zu ›sehen‹ meint. Ein Band zum Atemholen in der ubiquitären Wörterflut.
Lyrikemfpehlungen, Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, Kristina Maidt-Zinke
Harmonisierende Ordnung ist ein Element dieses Bandes: Aus vier Abteilungen besteht er mit je zwölf
Gedichten, jedes zu acht Zeilen. Stanzen sind das, eine aus der italienischen Renaissance stammende
Gedichtform. Zugleich jedoch pflegt Uwe Kolbe innerhalb dieses Rahmens eine sich selbst bindende
Freiheit in Zwiesprache mit der Tradition, die zu erstaunlicher Produktivität und Vielfalt führt.
Wunderbare Liebesgedichte findet man, etwa das über absichtslose Berührungen – und ums
Berührtwerden geht es an vielen Stellen – oder dieses so herrlich herbe, in dem ein »Siebenschwarm«
von Krähen der Freundin ein Lied vom Wiedersehen krächzt
Dresdner Neueste Nachrichten, Tomas Gärtner
Er hat aus dem Schuttberg der Traditionen
nicht nur Motive der Natur- und Liebeslyrik
herausgegraben, sondern auch eine
besondere Form. Der Dichter benutzt
die Strophenform der Stanzen, die im
14. Jahrhundert in Italien aufkam und später
auch in Deutschland beliebt war. Inzwischen
sind die Achtzeiler aus der Mode gekommen.
Kolbe belebt das Muster mit eigenen
Varianten, mit Reim und ohne Reim..
Sächsische Zeitung, Karin Großmann
Allein für solch ein Gedicht möchte man sich verneigen: Um gut zu träumen, / musst du viel Erfahrung haben. / Die Trennungen verschmerzt, / die Gräben zugeschüttet; Forderungen werden / nicht gestellt. / Die Zeitung Hoffnung abbestellt. ... Mehr kurzweilige Reduktion bei gleichzeitigem Wirklichkeitsgehalt geht nicht.
Berliner Zietung, Björn Haider
Jetzt hat der Künstler, der seit einem
Jahr in Dresden lebt, unter dem Titel Die sichtbaren Dinge neue Verse vorgelegt, die unseren
Literaturkritiker Ulf Heise überzeugen.
MDR
Die sichtbaren Dinge heißt das neue Buch des Lyrikers Uwe Kolbe, eine Sammlung mit Achtzeilern. In seinen Achtzeilen, den Stanzen, blickt Uwe Kolbe auch auf die Geschichte der Poesie, z.B. auf Goethes Achtzeiler Dämon. Die Stanze ist eine alte Gedichtform, genauer: eine Strophenform. Acht Zeilen, um von der Welt zu erzählen.
Bayerische Rundfunk. Diwan
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