Grünlaken
»Ihr alle, die ihr euer Ziel niemals erreichen werdet, lasst euch nicht irre machen von windigen Propheten, die euch Palmenstrände mit weißen Hotels und Drachenfischen vor Sonnenuntergängen versprechen! Ihre Pisten sind von Kadavern gesäumt, die Hotels auf Schutthalden errichtet, an den Küsten hört ihr die Klageschreie von Vögeln mit verklebtem Gefieder und nachts raubt euch das Geheul der Turbinen, der Gestank aus Kloaken und das Flimmern der Leuchtreklamen den Schlaf.«
Thomas Böhmes Roman Grünlaken ist eine bildmächtige Allegorie auf den Verlust von Welt. Der Held Adrian Gallus begibt sich auf die Suche nach einem verwunschenen Kindheitsort, von dem nicht einmal gewiss ist, ob es ihn gibt. Dabei durchstreift er ein Niemandsland, das durch rivalisierende Machtinteressen geprägt ist und voller Skurrilitäten steckt.
Seit seiner ersten Roman-Imitation fühlt Thomas Böhme sich einem magischen Realismus verpflichtet. Grünlaken variiert und parodiert Themen der klassischen Abenteuerliteratur und erweist sich zugleich als eine so poetische wie akribische Bestandsaufnahme des Weltzerfalls.
Andreas Hahn, der sich lieber Adrian Gallus nennt, ist Mitbegründer eines dubiosen Forschungsinstituts. Als dort wegen vermuteter Geldwäsche eine Hausdurchsuchung droht, macht er sich aus dem Staub und begibt sich auf die Suche nach dem mysteriösen Ort Grünlaken. Kindheitserinnerungen sind der einzige Anhaltspunkt für dessen Existenz. Auf seiner Reise durch städtische Randzonen und desolate Sperrgebiete begegnet er obskuren Gestalten und den Gespenstern seiner Vergangenheit. Immer wieder wird er aufgegriffen und amtlichen Verhören unterzogen, die gleichwohl absurd erscheinen. Nichts ist so, wie es scheint in Thomas Böhmes bildgewaltigem Roman, der mit historischen Ereignissen und literarischen Anspielungen jongliert und selbst Tote auferstehen lässt.
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Kaiserwetter
Kaum ist das letzte Wölkchen hinter dem Kirchturm verschwunden, setzt das Froschkonzert ein, zu dem die Frauen aus dem Dorf ihre Wäsche hinaushängen. Die weißen Laken bekommen Bäuche vom Wind und die Sonne brennt winzige Löcher in das Linnen. Auf der Straße irrt eine Ziege zwischen den Zäunen umher. Sie trägt im Gehörn ein Schürzenband, das jemand aus Jux zu einer Schleife gebunden hat. Ich vermute, dass hier die Hunde die Eier ausbrüten und die Hühner die Höfe bewachen. Einen Moment lang glaubte ich, die Kinder hinterm Ententeich spielten mit einem Kaninchen Fußball. Es ist aber nur ein Globus, dem sie Ohren angeklebt haben. Eine Hummel hat sich in meinem Haar verfangen. Der Pfarrer grüßt mich, indem er mit seinem Krummstab gegen sein Holzbein klopft.
Aus: Grünlaken
Stimmen zum Buch
Böhme spannt einen weiten Bogen, die Fluchtwanderungen seines Protagonisten führen durch eine zerfallende Welt aus Randzonen, Sperrgebieten und Ruinen. Auch wenn es eine Abenteue reise ist, ein Road-Movie fast, mit vielen Spuren, die auch eine staunenswerte Belesenheit des Autors erkennen lassen und dessen Fähigkeit zur Verwandlung von Literatur, so verrät der Text doch die Sehnsucht nach einer Festigkeit, etwa, wenn auf den Apostel Paulus (Römer 8) oder Johann Joachim Winckelmann´, den Schönen Jüngling, rekurriert wird.
Um den Schabernack auszukosten, müsste man den Roman einmal lesen, dann das zweite Mal, um den Abenteu erfährten zu folgen, ein drittes Mal, um dem gewaltigen Bild- und Sprachreich tum gerecht werden zu können. Mit welchen Absichten auch immer jemand sich an die Lektüre macht: Er wird auf seine Kosten kommen und sich bereichert finden. Und man hält ein schön gestaltetes Buch in Händen, das darf man dem Leipziger poetenladen Verlag dankbar sagen.
Ossietzky | Albrecht Franke
Das Erzählen von Thomas Böhme findet seine Schönheit in der Sprache des Dichters. Grünlaken liest sich als ein Werk von höchster sprachlicher Konzentration, voll von Welt und Assoziationen, die der Autor in ein nur in der Literatur zu betretendes Niemandsland übersetzt hat.
MDR | Michael Hametner
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