Strandpatenschaft
Mit Strandpatenschaft legt Thomas Böhme einen Gedichtband vor, der alle Tonarten seines dichterischen Sprechens anklingen lässt und zugleich neue Themen erschließt. Das drohende Vergehen dessen, was wir gemeinhin als Natur bezeichnen, scheint in vielen seiner Texte auf. Dabei gehen die Gedichte über das Hinfällige und Jahreszeittypisches hinaus und lenken den Blick auf den Zustand unserer Mitwelt im Allgemeinen. Manche Texte wirken wie Abgesänge und eröffnen apokalyptische Szenarien. Auch das Mythische tritt in Erscheinung. Das Einbeziehen von Gestalten und Geschichten aus verschiedenen überlieferten Mythen hat bei Thomas Böhme Tradition. Immer wieder lassen sich narrative Elemente finden, wobei die Grenzen zwischen Lyrik und prosanaher Miniatur schwinden.
»Was mich an Thomas Böhmes Lyrik fasziniert, mutet mir zunächst wie Nähe zum eigenen Schreiben an: Ihm scheint es wie mir um Moment-Räume im Gedicht zu gehen, in denen das Außerleibliche den Leib trifft, die Oberflächen einander durchdringen und genau dadurch bislang offenbar unbetretene Räume bilden. Die Sinneseindrücke mischen sich und machen im lyrischen Augenblick neue, ungeahnte sinnliche Qualitäten des Sehens, Hörens, Riechens, Fühlens, Schmeckens möglich. Das alles geschieht keinesfalls abgehoben von Zeit und Ort, vielmehr werden deutliche Signale gesetzt, die die U-Boote unter den ausgefahrenen Periskop- und Radarmasten ahnen lassen und die Abenteurer unter den Lesern hoffentlich dazu verleiten, tiefer hinabzusteigen. Wer es wagt, wird zumindest eine Ahnung von dem bekommen, was Thomas Böhme sieht, wenn er schreibt, denn seine Gedichte erzählen fast immer Geschichten«. Kathrin Schmidt
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Strandpatenschaft
Der Junge mit dem Papierhut läuft wieder den Strand ab.
Sammelt ein, was er findet
stopft es in seinen Schnappsack.
Der Mann mit dem Strohhut wankt ihm entgegen.
Er führt einen Esel am Zaum.
Unterm Feuerturm
wo die beiden einander begegnen
teilen sie brüderlich eine Kippe.
Sie tauschen die Funde aus, sondern das Brauchbare -
für den Alten das Leichte
das Schwere dem Jungen.
Nur dem Esel wird sperriges Alteisen aufgehuckt.
Sirenen
künden vom Schichtwechsel in der Konservenfabrik.
Vor der Küste lungern wie stets ein paar Boote.
Möwen kreischen überm zurückgeworfenen Beifang.
Der Junge schabt sich den öligen Schlick von den Füßen.
Der Mann mit dem Esel ist schon weitergezuckelt.
O shit, der machts auch nicht mehr lang
denkt der Junge.
Sogleich verscheucht er diesen Anflug von Trübsal.
Er lockt die geschuppte Amphibie aus ihrer Grotte
versorgt ihre allezeit schwärende Wunde.
Zum Dank schenkt sie ihm etwas magischen Schleim
bevor sie mit einem Klagelaut
in das Brackwasser gleitet.
Die erleuchtete Fähre taucht hinter der Kaimauer auf.
Der Wind weht die Süße der Raffinerien in die Bucht.
Der Junge klaubt noch ein angekokeltes Telefon aus dem Sand.
Das Gejammer
der niemals erhörten Anrufer -
es erweicht ja auch ihn nicht.
Ward sein Herz denn zu Stein?
Er könnte jetzt heimkehren zu den verlausten Baracken
doch er mag sich nicht lösen
vom Röcheln der schwarzen Lagune.
Aus: Strandpatenschaft
Stimmen zum Buch
2016 habe ich im Palmbaum für Böhmes Gedichtband Abdruck im Niemandswo geschwärmt. Zwei Jahre später erschien der Band Klavierstimmer auf der Titanic. Der war vielgestaltig interessant, aber sein neuester [Strandpatenschaft] ist einfach grandios! Der beste, form- und inhaltsreichste Lyrikband, den ich in diesem Jahr zu lesen bekam.
Palmbaum, Jena 2021
Es lassen sich in Thomas Böhme Gedichten [aus: Strandpatenschaft] vergessene, kleine alltägliche Dinge neu entdecken. Ob es die Entdeckung von Kastanien in der Hosentasche oder das Überdenken der eigenen Reiseziele ist, das Nachgehen seiner Wege ermöglicht neue Sichtweisen. Sie regen zum Nachdenken und zum Rätseln an. Das bleibt eine Herausforderung, denn, so heißt es in der siebten Vigilie: er ist auch ein Kind des 21. Jahrhunderts, und man darf nicht zu viel erwarten. Das Schnar-ren seines Smartphones holt ihn in die Realität zurück.
Literaturkritik, 2021
Thomas Böhme lässt in Strandpatenschaft die Geister der Rauhnächte durch die Lüfte sausen. Wenn ein Wanderer auf Reisen zu den alten Burgen an der Saale gelangt, trennt der Schwertleib eines Ritters ihm den Kopf vom Rumpf, dann aber findet er sich unversehrt. Surreal geht es oftmals zu. Böhme öffnete unsere Sinne für bizarre Zwischenwelten abseits des platten Oberflächenrealismus. Solch ent-hemmte Fantasie bereichert einen.
DNN, 2021
Der Dichter zeigt sich als aufmerksamer Chronist auf Spurensuche, der gern innehält, sich die Fähig-keit des Staunens bewahrt hat und immer wieder von Neuem den Zauber der Betrachtung sucht. Was er sieht, hört, träumt und spürt, zeichnet er auf und macht Momente haltbar, entzieht ihnen das Flüchtige. Und er stellt sie in einen größeren Zusammenhang. Ihn fasziniert die Dichotomie von Werden und Vergehen, von Auf- und Abgesang, Blues & Blüte und kleidet sie in wechselnde poetische Gewänder.
Signaturen, 2022
Solche Verse können Begleiter für jeden Tag werden, ganz ohne Lyrikkalender oder dergleichen. Sie zeigen, dass Böhme zu Recht auf Gedichte vertraut, aber auch, dass man auf Lyrik vertrauen darf, wenn man sie als Begleiteter zulässt.
Ossietzky, 2022
Mit Böhmes Gedichten merkt man dieses Staunen und Verwundertsein wieder. Es steckt auch im Titelgedicht Strandpatenschaft, in dem es um die Beziehung eines Jungen zu einem alten Mann geht, die beide am Strand nach aufhebenswertem Strandgut suchen. So, wie es Böhme als Dichter eigentlich auch tut. ›Er könnte jetzt heimkehren zu den verlausten Baracken / doch er mag sich nicht lösen / vom Röcheln der schwarzen Lagune.‹
Scheinbar ein völlig ungeeigneter Ort zum Staunen. Aber das Staunen und Ehrfurchthaben steckt in unserem Kopf. Es ist ein ganz leises Gefühl, dem man sich hingeben kann oder in das man hineingerät, ganz unverhofft. Oder eben doch Gedicht für Gedicht, wenn man sich durch diesen neuen Gedichtband von Thomas Böhme blättert. Die Zeit sollte man sich nehmen. Denn genau das bringen einem Gedichte wieder nahe: die verdichtete Aufmerksamkeit für unsere eigene Wahrnehmung der Welt.
Leipziger Zeitung, LZ
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